Weisheit aus Afrika "Die beste Zeit einen Baum zu pflanzen war vor 20 Jahren, die nächstbeste ist jetzt!"
Bannerbild
NEUIGKEITEN
 

NEUIGKEITEN

 
AKTUELLE VEREINSNACHRICHTEN
 
 
 
TERMINE
 

Nächste Veranstaltungen:

15.12.2024 - Uhr – Uhr

 

26.12.2024 - Uhr – Uhr

 
 
 
 
Link zur Seite versenden   Ansicht zum Drucken öffnen
 

mehr: Mpox - Das Elend begünstigt das Virus

Mädchen mit Mpox

...

Mulume hat viel zu tun. Der 38-Jährige arbeitet da, wo Hilfsorganisationen ohnehin schon von einer der großen vergessenen Krisen der Welt sprechen: in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), in der Mitte Afrikas, wo ungefähr so viele Menschen leben wie in Deutschland. Mulumes Einsatzgebiet sind die Flüchtlingscamps am Rande von Goma, einer rund zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Großstadt in der Provinz Nordkivu an der Grenze zu Ruanda. Bekannt als das Tor zum Ostkongo. Es gibt wenig Platz, viel Bewegung, Grenzverkehr, auch einen Flughafen – ideale Bedingungen für ein Virus, das sich schnell ausbreiten will.

 

Mulume sorgt sich inzwischen nicht mehr allein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Mitte August vor allem wegen der Lage im Kongo ihre höchste Alarmstufe ausgerufen: eine „gesundheitliche Notlage internationaler Reichweite“ – wie auch zu Corona-Zeiten. Zwar stecken sich im Kongo schon seit den 1970er-Jahren immer wieder mal Menschen bei Nagetieren mit Mpox (früher bekannt als Affenpocken) an, auch Infektionsketten gab es, jetzt hat sich aber grundsätzlich etwas verändert. Und das besorgt die WHO: Mpox kursiert permanent unter Menschen, an immer neuen Orten. Es sieht nicht so aus, als wenn das plötzlich aufhören würde.

Das genaue Ausmaß der neuen Ausbrüche ist schwer abzuschätzen. Rund 21 000 Infizierte und circa 600 Tote sind der WHO allein in der ersten Jahreshälfte gemeldet worden, überwiegend in der DR Kongo – Tendenz steigend –, aber auch in bislang verschont gebliebenen Nachbarländern wie Burundi, Kenia, Ruanda und Uganda. Diese Zahlen seien wahrscheinlich aber „nur die Spitze des Eisbergs“, räumt die Gesundheitsbehörde CDC Africa ein. Überwachung, Labortests und Kontaktverfolgung: Es gebe viele Schwachstellen.

 

Im Osten der DRK ist zudem eine neue Mutante aufgetaucht – die Klade Ib. Beobachtungsdaten und Tierversuche zeigen, dass diese Variante ansteckender und tödlicher sein könnte als bisherige. Beweise dafür stehen noch aus. Immerhin: Erste Hinweise, wo diese entstanden sein könnte, führen nach Kamituga, einer dicht besiedelten, strukturschwachen Bergbau­ und Minenregion in der Provinz Südkivu, rund 460 Kilometer entfernt von den Camps, wo Arzt Mulume arbeitet.

Dort entdeckten Forscher und Forscherinnen das mutierte Virus erstmals im September 2023. Einen entsprechenden Bericht veröffentlichten sie Mitte Juni 2024 in der Fachzeitschrift „Nature“. Dafür hatten sie 108 infizierte Menschen untersucht. Das Durchschnittsalter lag bei 22 Jahren, rund die Hälfte war weiblich, ein Viertel waren in der Sexbranche Arbeitende. Dieses Virus verbreite sich, so mutmaßt es das Team, vor allem über sexuelle Netzwerke – und das ziemlich schnell. Bis Mitte August hat es ebendiese Klade Ib sogar in zwei Fällen bis nach Schweden und Thailand geschafft, Reisende hatten es mitgebracht.

 

Damit ist Mpox weltweit wieder weiter nach oben auf der Agenda gerückt. China kündigte prompt an, Kontrollen für Einreisende aus betroffenen afrikanischen Gebieten zu verschärfen. Auf Facebook kursierten erste Falschmeldungen darüber, die WHO spreche sich angesichts der Lage für „Mega-Lockdowns“ aus. Das ist stark überzogen: Die Gesundheitsbehörde ECDC schätzt das Gesamtrisiko für die in der EU lebenden Menschen derzeit als „gering“ ein, wenngleich mit mehr solcher „importierten Fälle“ zu rechnen sei. In Deutschland gibt es bislang keinen nachgewiesenen Klade-I-Fall.

 

Aber droht womöglich doch ein Pandemieszenario? Der südafrikanische Virologe Wolfgang Preiser hatte schon Anfang Mai in einem in der Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienenen Beitrag davor gewarnt, die Ausbrüche im Kongo zu ignorieren. Das sagt er auch jetzt auf Anfrage: „Mpox ist nicht so weit weg, wie wir es gern hätten“, mahnt der Wissenschaftler, der sich an der Stellenbosch-Universität mit neuartigen Mutationen beschäftigt. Die Welt solle nicht in Panik verfallen. „Wir sind nicht in der nächsten Pandemie. Es ist auch nicht plötzlich ganz Afrika Gefahrengebiet“, sagt der Virologe. Problematisch werde es aber, wenn diese Variante den Absprung dauerhaft in andere Netzwerke schaffe und sich dort von Mensch zu Mensch übertrage. „Bekämpft man das Virus frühzeitig an der Quelle, ist das viel besser, als wenn man wartet, bis irgendwann weltweit viele Menschen infiziert sind.“

 

An ebendieser Quelle sitzt Gustave Mulume. Für die Menschen, die der Arzt in den Geflüchtetencamps betreut, sei Mpox aber eines von sehr vielen großen Problemen. Da seien die starken Regenfälle, Überschwemmungen, Dürren. Da sei die Politik: immer wieder neu eskalierende Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und der bewaffneten Rebellengruppe M23. Da seien die Folgen: Armut, Gewalt, Menschen auf der Flucht, überall. Allein Richtung Goma seien mehr als 800 000 Menschen aus betroffenen Regionen geflohen.

Wer in die Camps komme, lebe dicht an dicht, in teilweise kaputten Zelten. Es gebe kaum Wasser, kaum Essen. Unterernährung sei ein großes Problem, vor allem Kinder seien dann ohnehin schon geschwächt. „Die Hygienebedingungen sind wirklich sehr schlecht und machen anfällig für Infektionskrankheiten“, sagt der Koordinator. Polio, Masern, Corona und Ebola gab es zuletzt. Im Frühjahr tobte gerade erst wieder eine Cholera-Welle.

Mit einem Team aus 81 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen betreut Mulume dort sieben mobile Krankenstationen. Ein Minimum an ärztlicher Versorgung könnten sie bieten, für all diese Krankheiten. „Aber unsere Kapazitäten sind schon jetzt völlig ausgelastet“, sagt er. Patientinnen und Patienten mit schweren Verläufen müssten in Kliniken – und auch die arbeiteten am Rande ihrer Kapazitäten. „Es braucht jetzt jede internationale Hilfe.“

 

63 bestätigte Mpox-Fälle mit der neuen Variante seien in Nordkivu bereits nachgewiesen, zehn Erkrankte habe man bislang betreut und auch isolieren können. Die Johanniter rechnen jetzt mit mehr Ausbrüchen – und bereiten sich vor, indem sie so viele Menschen wie möglich über das Virus informieren. Sie sprechen darüber, dass, wenn man Läsionen auf der Haut bekommt, ärztliche Hilfe konsultiert werden kann.

Auch über das Radio wird über Infektionswege aufgeklärt: enger Hautkontakt, sexuelle Kontakte, womöglich auch Tröpfchen. Die Angst vor Isolation und Stigmatisierung sei seit den Ebola-Ausbrüchen groß, erklärt Mulume.

Kann das Virus an so einem Ort überhaupt noch eingedämmt werden? „Es ist sehr schwierig, die entsprechende Infrastruktur in so einer unsicheren Region aufzubauen“, sagt Virologe Preiser. Aber es gebe bereits einige Labore. Es gebe Methoden, mit denen man in Echtzeit Infektionsketten ermitteln könne, selbst wenn Stromversorgung und Internet nicht zuverlässig funktionierten. Es gebe erfahrene Hilfsorganisationen vor Ort. Das alles müsse aber flächendeckend verstärkt werden. „Was man nicht erreichen kann, ist, das Virus als solches auszurotten“, erklärt der Wissenschaftler. „Momentan besteht aber noch die Möglichkeit, diese neuartige Variante an ihrem Ursprungsort unter Kontrolle zu bekommen.“

 

Anders als anfangs bei Corona steht dafür noch ein weiteres mächtiges Werkzeug zur Verfügung: Impfstoff. Es gibt zwei Mittel, die nachweislich vor schweren Verläufen schützen können. Imvanex, produziert von der dänischen Biotechfirma Bavarian Nordic. Und LC16, ein Vakzin, das in Japan produziert wird. Aber es gibt ein Problem. Nur westliche Industrieländer sind damit versorgt.

Als es in Europa 2022 schon einmal plötzlich zu größeren Mpox-Ausbrüchen kam, konnten diese unter anderem mithilfe von Impfungen schnell eindämmt werden – als das Virus vor allem in Netzwerken kursierte, in denen Männer mit Männern Sex haben. Im Kongo ist das anders. Da, wo Mpox auch damals schon verstärkt kursierte und bis heute immer stärker um sich greift, tritt es auch in anderen sexuellen und familiären Zusammenhängen auf. Schlicht, weil es dort bislang keinen Impfstoff gibt.

Das ist nun eines der großen Ziele der WHO-Notstandsdeklaration: Staaten, die es können, dazu zu bewegen, die betroffenen Länder endlich finanziell zu unterstützen. Absichten sind bereits erklärt worden: Die USA, Japan und die EU wollen Dosen spenden, auch Deutschland und die WHO selbst. Kurzfristig soll auch mehr Impfstoff produziert werden, 2,4 Millionen Dosen könne der dänische Impfstoffhersteller laut WHO bis Jahresende schaffen, wenn es feste Aufträge gebe – und Geberländer dafür Geld bereitstellten.

 

Das sei gut, reicht laut Virologe Preiser aber nicht. Die Impfungen müsse man dann vor Ort gezielt durchführen, gestaffelt nach Infektionsrisiko, und parallel die Hygiene- und Schutzmaßnahmen verstärken, die Bevölkerung aufklären, vermehrt testen, Kontaktpersonen ermitteln. „Wenn man nicht gegensteuert, wird das Virus weiter dort vor sich hin schmoren“, sagt der Wissenschaftler. „Je öfter man dem Virus eine Chance gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es den Absprung langfristig schafft.“

In den Krankenstationen mitten in den Vertriebenencamps ist nach dem WHO-Weckruf bis Ende August jedenfalls kein Impfstoff angekommen. Auch der Mediziner Mulume und sein Team sind bislang nicht geimpft. Kittel, Handschuhe, Masken und Desinfektionsmittel bleiben ihnen zum Schutz – vor Mpox und den vielen weiteren Krankheiten. „Wir fühlen uns ein Stück weit vergessen“, sagt er. Mal wieder.

 

„Bekämpft man das Virus frühzeitig an der Quelle, ist das viel besser, als wenn man wartet, bis irgendwann weltweit viele Menschen infiziert sind.“

Wolfgang Preiser, Virologe



Quellenangabe: Deutschland vom 31.08.2024, Seite 41 FR ePaper App